BRIEF #86
Liebe S., Dein A.
Liebe S.,
ich liebe die Beatles. Ihre Melodien waren mir stets Gutefreundemusik. Ich halte sie tatsächlich für unsterblich.
Sicher kennst Du ‚St. Pepper‘s Loneley Hearts Club Band‘. Die Musik, die Songs, das Konzept. Und natürlich das Cover. Ich hatte die LP, die Vinylscheibe steckte in einer bunt bedruckten Plattenhülle mit den stattlichen Ausmaßen von 31,5 cm x 31,5 cm.
Das Album wurde 1967 veröffentlicht. Da waren die Beatles noch längst nicht tot. Die Band war erst drei Jahre und viele Songs später Geschichte.
Auf der Front der Hülle sehen wir eine Bildkomposition für die Ewigkeit. Vorne ein frisches Grab mit Blumenarrangement. Hier ruhen die Beatles. Dahinter stehen die Fab Four in irrwitzig bunten Uniformen, mit Instrumenten in der Hand. Links daneben nochmal alle Vier in dunklen Anzügen und mit Trauerminen, direkt aus dem Wachsfigurenkabinett von Madame Tussaud.
Hinter den doppelten Beatles und um sie herum hat sich eine illustre Trauergesellschaft versammelt. Es handelt sich eine ausgeklügelte Collage aus Figuren und Pappkameraden, das Ganze sieht aus wie mit Schere und Klebstoff gebastelt, ein unruhiges Wirrwarr aus Schwarzweiß und Farben.
Es lohnt sich, all die Gesichter zu studieren. Du wirst viele Trauergäste erkennen. Oscar Wilde und Edgar Allen Poe. Albert Einstein, Marilyn Monroe. Stan Laurel und Oliver Hardy. Gandhi, Karlheinz Stockhausen, Marlene Dietrich. Autoren, Schauspieler, Gurus, Sportler, Philosophen. Und Tarzan. Ich könnte weiter aufzählen, über 70 Personen sind auf dem Cover zu identifizieren. Nicht mitgerechnet ist die Spielzeugpuppe am rechten Bildrand, die einen Pullover mit der Worten ‚WELCOME THE ROLLING STONES‘ trägt. Auch das geht wohl als Britischer Humor durch.
Es ist spannend zu lesen, wer seinen Platz in dem ikonischen Gruppenbild gefunden hat. Und wer nicht. Die Idee, die diesem Werk zum Werden verholfen hat, beschäftigt mich seit langer Zeit. Immer wieder habe ich mir ausgemalt, wer denn Berücksichtigung fände, wenn ich mir solch eine letzte Gesellschaft als Puzzle meines Lebens basteln würde.
Wer war mir wichtig? Wer hatte großen Einfluss? Von wem habe ich gelernt? Und wer hat mich inspiriert? Wer hat mir auf dem Weg geholfen? Wer hat mir einfach Freude bereitet? Wer war mein Leben?
Bis heute hat mich die Komplexität des Gedankenspiels noch zu keinem finale Bild finden lassen. Und doch flackert die Versuchung der Collage immer und immer wieder auf. Vielleicht soll es so sein.
Let it be,
Dein A.
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