BRIEF #76
Liebe S., Dein A.
Liebe S.,
dieser Tage habe ich in einer Schublade Papiere aus Kindertagen wiederentdeckt. Bilder, Basteleien, Gedichte, zunächst von meiner Mutter verwahrt und dann offensichtlich von mir übernommen und verstaut und lange nicht beachtet. Und weil ich mich schließlich nicht von allen trennen kann, ist nach rascher Durchsicht der Fundstücke ein Häuflein an Werken übergeblieben, das ich nun sicher weitere Jahre irgendwo verstecken werde.
Dieses Zetteln wäre nicht weiter der Rede wert, wenn ich nicht plötzlich ein Bild in der Hand gehabt hätte, das mich innehalten ließ. Es dürfte aus Grundschulzeiten stammen. Mit bunten Filzstiften habe ich da einen Friedhof zu Papier gebracht. Die Sonne lacht kindlich aus einem Smiley-Gesicht und es gibt nur eine Wolke am Himmel. Neben einem stattlichen Grab mit drei Kreuzen steht ein Kind mit einer Kappe auf dem Köpfchen und drei Blumen in der Hand. Im Zentrum der Szenerie steht in großen Druckbuchstaben FRIEDHOF zu lesen.
Auf der Rückseite, auf der das Schwarz der Grabkreuze von der Front durchscheint, habe ich mich mit Vor- und Zunamen verewigt und ‚an Vater und Mutter und Markus‘, also Eltern und Bruder, vermerkt.
Ohne zu viel in eine Kindermalerei, in meine Kindermalerei, hineininterpretieren zu wollen, frage ich mich nun doch, warum damals wohl dieses Bild herausgekommen ist. So wie ich die Entstehung zeitlich einordne, dürfte meine erste Bekanntschaft mit einem Toten erst später gewesen sein. Warum hat mich der Tod als Kind beschäftigt ? Immerhin habe ich auch jede Menge Bilder mit Actionhelden und Autos und anderen Welten im Fundus entdeckt, was die Frage nicht größer werden läßt, als sie ist. Aber sie bleibt.
Mindestens erstaunt,
herzlich,
Dein A.
Nächster Brief:
Vorheriger Brief:
Projekte
Briefe vom Anfang über das Ende
- Andreas Kaufmann
- Sabrina Zwach
- Luise Wilhelm
Ein fiktionalisierter Briefwechsel über den Tod und das Sterben von Andreas Kaufmann und Sabrina Zwach