Lieber A.,

plötzlich und vollkommen unerwartet ist der Intendant der Berliner Volkbühne gestorben. Die Nachricht verbreitete sich am Montagabend wie ein Lauffeuer. Freunde schrieben mir Textnachrichten, andere riefen sich gegenseitig an, verabredeten sich zum Spaziergang zum Theater, die sozialen Medien erhöhten die Pulsfrequenzund und da war er wieder dieser Moment der absoluten Sprachlosigkeit, des Schocks. Ich stand ihm nicht nahe, habe ihn jedoch verehrt und lange gekannt und eine Scham überkommt mich, dir davon zu schreiben, weil ich es beinahe unanständig finde, mich zu formulieren, weil ich denke, dass es nur den nächsten Freunden, Freundinnen und Angehörigen zustehen mag. Und gleichzeitig ist der Tod von Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, ein öffentlich verhandelter Tod, ein kollektiver Schock, ein gemeinsamer Schmerz, ein vielstimmiger Trauerchor. Ich bin mir beinahe sicher, dass ich mich für den Rest meines Lebens daran erinnern werde, wo ich war, als die Nachricht bei mir eintraf. Der Tod von René Pollesch ist nicht hinzunehmen, nicht akzeptabel, denn er war die Stimme, die vieles erträglicher und witziger gemacht hat, die zeitgenössisch war und Intelligenz mit Unterhaltung wie kein anderer in Einklang gebracht hat. Das alles wird sehr fehlen und natürlich die Hoffnung, dass Theater so sein kann.

Ich bin traurig.

Pass auf Dich auf

Deine S.

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