BRIEF #53
Lieber A, Deine S
Lieber A.,
ich bin in den Sommerferien am Lago Maggiore.
T., von dem ich Dir schon geschrieben habe, der Sterbebegleiter ist, hat uns hier am See für einige Tage besucht.
Die Tage erscheinen mir wie aus der Zeit gefallen. Wir stehen früh auf und brechen vor der aufkommenden Hitze zu einer Wanderung auf. Wir baden in einem Flußlauf, sind am frühen Nachmittag wieder zu Hause und liegen dann im kühlen Schatten des Hauses und lesen bis zum Abendessen. Internet gibt es nicht. Handyempfang ist mies. Abends gibt es gegrillten Fisch und Wein und dann spielen wir Karten bis die Kerze nicht mehr genug Licht abgibt. Dann fernsehen auf den See. Die Gespräche, die dann stattfinden, haben in den letzten Tagen - zufällig oder nicht - vom Sterben gehandelt. Erst nach einigen Abenden. War es uns bewußt. T. hat von seinen letzten Erfahrungen beim Begleiten von Sterbenden erzählt, andere haben von Freunden erzählt, die im letzten Jahr gestorben sind und dann hat sich mehr und mehr das Verhältnis zum eigenen Sterben und Tod in die Gespräche, die kein bisschen depressiv oder schwer sind, gemischt. T. entwickelt beim erzählen eine Begeisterung dafür, wenn ein Mensch, den er begleiten durfte, friedlich und bewußt stirbt. Einer hat die Frage aufgeworfen, ob der selbstgewählte oder selbstbestimmte Tod, der begleitete Suizid, für uns denkbar wäre oder ob wir unsere Beerdigung geplant hätten, eine Patientenverfügung oder ein Testament vorbereitet hätten? Einer hat erzählt, dass er Angst vor einer Erdbestattung hat, weil er die Enge nicht aushalten würde.
Irgendwann gehen wir schwer vom Wandern und dem Wein ins Bett. Der See plätschert, wie seit tausenden von Jahren, vor sich hin.
Das Leben ist schön und dann denke ich: Vielleicht verliere ich sogar die Angst vor dem Sterben bis es so weit ist.
Pass auf dich auf!
Deine
S.
Nächster Brief:
Letzter Brief:
Projekte
Briefe vom Anfang über das Ende
- Andreas Kaufmann
- Sabrina Zwach
- Luise Wilhelm
Ein fiktionalisierter Briefwechsel über den Tod und das Sterben von Andreas Kaufmann und Sabrina Zwach