BRIEF #44
Liebe S, Dein A
Liebe S.,
wenn ich den Schlüssel ins Schloss stecke und aufschließe herrscht Stille. Kein Rufen, kein Fernseher. Keine Nebengeräusche.
Die Küche ist sauber und aufgeräumt. Nichts wird mehr benutzt.
Ein Blick ins Wohnzimmer, alles so wie zuletzt. Auf dem Tischchen neben dem Sessel liegen noch die Atlanten, in denen mein Vater stets alles verortete von dem er zu hören und zu sehen bekam.
Spaßeshalber schaue ich in sein Schokoladenversteck. Es gibt noch Vorräte.
Auf dem leeren großen Esstisch steht nur der Tageskalender, bei dem keiner mehr ein Blatt abreißt.
In den Kleiderschränken seine Hemden, Hosen, Krawatten aus vergangen Tagen, Hosenträger, Leibwäsche.
Regale voller Bücher. Zu viele Bücher. Gelesen und ungelesen. Bücher waren mal was.
Jede Menge Medizin, Tabletten und Salben und Tropfen im Badezimmer. Und ein altes Radio, das ich ihm mal geschenkt habe.
Die Fotos an der Wand. Von der Familie, zu allen Zeiten. Aufnahmen von Orten, die ihm bedeutsam waren, Teile seines Lebens. Gemälde die da hängen, weil sie schon immer da hingen.
So vieles, was einmal wichtig erschien. Und kleine Dinge, die am Ende vor allem nützlich waren.
Neben der Tür parkt sein Rollator. Wie oft habe ich an dem herumgebastelt. Es waren immer die Bremsen.
Das Pflegebett steht noch im Sterbezimmer. Es sollte eigentlich schon geholt werden. Daneben die Hausschuhe. Auf einem Teewagen Hörgeräte, Brillen, Tablettendöschen. Eigenheiten des alten Mannes.
Die Wohnung meines Vaters ist tot. Voller Erinnerungen, aber tot.
Ich denke daran, dass wir uns bald um all das hier zu kümmern haben, die letzen Dinge, um einen Berg Leben.
Dann schließe ich die Wohnungstür wieder einmal ab.
Leer und unklar. Wie gut, dass ich Dir schreiben kann.
Dein A.
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