BRIEF #30
Liebe S, Dein A
Liebe S.,
oops, I did it again. Einmal mehr habe ich mich der ehrenvollen Aufgabe gewidmet, einen Nachruf zu halten.
Ich mache das wirklich gerne, ich kann es nicht anders sagen, es ist mir gar eine ernsthafte Freude.
Langjährigen Mitarbeitern habe ich einen letzten Gruß abgestattet. Und Vereinskameraden für ihre ehrenamtlichen Verdienste gedankt. Anfangs war ich unsicher, ob ausgerechnet ich am Ende eines umtriebigen Lebens das letzte Wort haben sollte. Aber mittlerweile bin ich da mit mir im Reinen.
Die Beerdigung ist auf dem Land, vielmehr im Tal, genauer gesagt fast am Berg.
Schönster herbstlicher Sonnenschein über dem Gotteshaus und dem angeschmiegten Friedhof. Früher wurde behauptet, die Christlich Demokratische Union gewinne hier Wahlen von der Kanzel herunter.
Der Verstorbene hatte seinen 90. Geburtstag hinter sich, die letzten Jahre waren beschwerlich gewesen, zuletzt ging es ihm gesundheitlich immer schlechter. Der Körper war verbraucht. Der Mensch müde. Er dufte gehen, hört man sich sagen.
Wer früh da ist, kann sich seinen Platz frei wählen, solange er nur hinter denen der Angehörigen ist. Ich sitze am Gang, um später aufstehen zu können, ohne zu stören. Das Redemanuskript ist stets in der linken Innentasche des Sakkos verwahrt. Immer mal wieder ein prüfender Griff. Bekomme ich einen Krampf im Fuß? Diese Schuhe trage ich nicht zu oft.
Eine ordentliche Anspannung hat mich im Griff. Eine Beerdigung ist kein Geburtstag ist keine Hochzeit. Eine Beerdigung ist eine Beerdigung. Nur noch der Pfarrer und ich.
Und tatsächlich wird von ‚Guten Mächten wunderbar geborgen‘ angestimmt. Eigentlich werden Bonhoeffers berühmte Zeilen auf so gut wie jeder Beerdigung gesungen. Das Lied ist hierzulande so etwas wie der Trauergassenhauer geworden. Wohl, weil es das beste ist. Seit ich mich beim Abschied meiner Mutter dafür stark gemacht habe, bin ich vor spontanen Tränen nicht mehr nicht gefeit.
Um nicht weinerlich zu werden, versuchte ich, an etwas anders zu denken, um so dem Kirchenschiff zu entkommen.
Ablenkung, der erste Versuch : Ich denke an Motörhead, die lauteste Band der Welt. Und muß den Gedanken gleich wieder verwerfen, weil Lemmy Kilmister ja auch schon tot ist.
Ablenkung, die Zweite : Spielzeugmotorräder, die ich über die Rücklehnen der vorderen dunklen Kirchenbänke rasen sehe. Weil ganz in der Nähe alljährlich ein Motocrossrennen stattfindet die dringend notwendige schnelle Assoziation.
Und nun hören wir noch einen Nachruf. Räuspern. Der Gang ans Rednerpult ist einsam. Traurige Gesichter, ernste Minen. Aufmunterndes Nicken ist nicht zu erwarten. Mein Jacket ist offen, denke ich, während ich spreche. Ich versuche, den Knopf unauffällig zu schließen und bin mir sicher, dass es jeder sieht. Es ist wichtig, langsam und deutlich zu sprechen. Langsamer und deutlicher als der Geistliche. Die Stimme, die Du selbst hörst, weil drumherum alles mucksmäuschenstill ist, kann ein Schwachpunkt sein. Wenn sie bricht, wird es schwierig. Zurück auf dem Platz macht sich eine konzentrierte Erleichterung in mir breit.
Die Familie hat mich nach der Beisetzung noch ins Gasthaus Krone auf der andere Straßenseite eingeladen. Dort gibt es Schnitzel mit Pommes und Nudeln und Gemüse und Salat satt. Und natürlich Bier und Wein. So machen wir das hier noch, man sitzt zusammen, an einem Tag wie diesem, erklärte mir mein Tischnachbar.
Die Töchter und der der Sohn danken mir herzlich für die Worte. Auch ein Schwiegersohn. Das ist so etwas wie der Lohn. Wenn sich die Hinterbliebenen angesprochen fühlen, bin ich frei.
Die Rede verwahre ich hinterher. Natürlich digital, aber auch auf Papier. Und ziehe sie dennoch kaum noch einmal hervor weil ich immer wieder frisch schreibe.
Nun muß ich nur noch den schwarzen Anzug zur Reinigung bringen. Aber rasch, wer weiß, wann ich ihn wieder brauche.
Zufrieden,
Dein A.
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