Lieber A.,

wenn du diesen Brief liest, werde ich in Mexiko sein. Kurz vor meiner Abreise habe ich ihn geschrieben, den Brief, mit Herzklopfen. Mein Bruder lebte einst in Mexiko, er ist ausgewandert, wie auch der Bruder meines Vaters. Die Brüder sind nun schon eine Weile beide tot. Die Familie lebt.

Der Bruder meines Vaters hat seinen Körper nach seinem Ableben der medizinischen Forschung übergeben. Angeblich - er war ein Meister des Geschichten Erfindens - war er der erste Mexikaner, der so über seinen toten Körper entschieden hat und nun gibt es eine kleine Inschrift irgendwo, die ich suchen will.

Mein Bruder kam, nachdem er gestorben ist, mit dem Flugzeug zu seiner letzten Ruhestätte nach Deutschland angeflogen. Seine letzte Reise war lang. Er lag in einem metallenen Transportsarg.

Ich denke nun bei langen Flugreisen immer daran, dass vielleicht auch ein Toter mitreist, eine Trauergemeinde an einem Ankunfts-Gate wartet oder an einem Abflugs-Gate einsteigt. Es begleitet mich stets das Gefühl, dass das Leben immer alles gleichzeitig ist und es lediglich darauf ankommt, aus welcher Perspektive man darauf blickt.

Eine Binse, ich weiss das, aber manchmal ist es so einfach.

Pass auf Dich auf

Deine S.

Nächster Brief:

BRIEF #125

Vorheriger Brief:

BRIEF #123