BRIEF #104
Lieber A., Deine S.
Lieber A.,
die letzten Tage und Wochen waren nicht einfach für mich.
Vielleicht war es der Herbst, die Zeitumstellung mit der früheinsetzenden Dunkelheit oder die geopolitische Lage, die bevorstehenden Wahlen in den USA und Krieg, die mich nach Düsterness verbannt haben?
Die Lektüre der Zeitung hat mich nicht positiv gestimmt und auch die Gespräche mit Freunden haben mir lediglich versichert, dass die Zeiten gerade beschissen sind – persönliche Verfasstheit hin oder her!
Ich habe mich vergraben und die Bettdecke über den Kopf gezogen. Nach einigen Tagen war mir klar, dass die Zeiten immer schwierig waren und ich noch immer mehr als privilegiert lebe. Also los! Steh auf! habe ich mir gesagt. Und dann bin ich aufgestanden und raus gegangen und habe mir Auststellungen angesehen, war in Konzerten und im Theater, habe Bücher weggelesen, die schon ewig auf meinem Nachttisch lagen und plötzlich hat sich Euphorie breit gemacht. Plötzlich kam eine Kraft zurück. Kunst! Natürlich!
Kunst macht glücklich. Kunst gibt Kraft. Kunst vermittelt Hoffnung. Kunst überdauert Kriege.
Ich habe dann an meine Eltern gedacht und ein Gefühl der Dankbarkeit hat mich durchströmt. Sie haben immer an die Kraft der Kunst geglaubt und das auch vermittelt.
Sie hatten Recht.
Familie und Kunst, das waren die Anker in den letzten Wochen und Monaten.
Und jetzt, wo ich Dir schreibe, empfinde ich großes Glück und Dankbarkeit.
Also, lieber A., ich hoffe, es geht Dir gut und wenn nicht, dann geh raus und such die Kunst!
Pass auf dich auf!
S.
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Ein fiktionalisierter Briefwechsel über den Tod und das Sterben von Andreas Kaufmann und Sabrina Zwach