BRIEF #70
Liebe S., Dein A.
Liebe S.,
this Morning is a tough one for us. Eine indische Influencerin mit 1,3 Millionen Followern hat auf Istagramm ihren eigenen Tod inszeniert. Tausende haben Kommentare der Anteilnahme eingestellt. Aber am folgenden Tag war die Totgeglaubte wieder da und lebendig. Nun stellt sich die Frage, an der sich viele Menschen im Netz reiben: Darf die das überhaupt? Immerhin wächst die Aufmerksamkeit um diese Frage herum zu einer weltweiten Berichterstattung über das Geschehnis an. Und nun wissen auch wir hier, dass es Poonam Pandey, Model | Actress | Influencer based out of Mumbai, India, (wieder) gibt.
Sie selbst erklärte Ihre Aktion sogleich zum Dienst an einer guten Sache. Auf die Gefahr von Gebärmutterhalskrebs habe sie erfolgreich aufmerksam machen wollen. Ist das nun geschmacklos oder besonders genial? Heiligt auch hier der Zweck das Mittel? Ich frage mich, ob das Ausmaß der Erregung nur an den digitalen Medien und an den sozialen Netzwerken liegen mag, in denen Tatsachen schnell inszeniert, aber nur schwer wieder aus der Welt zu schaffen sind? Oder ist und bleibt der Tod doch am Ende das letzte Tabu? Auch in Zeiten wie diesen.
In einer Welt vor diesen Zeiten tummelte sich in den USA der Entertainer und Performance-Künstler Andy Kaufman. Seine Späße machten vor nichts und niemandem halt. Er selbst bezeichnet das als ‚Anti-Humor‘. Durch seine revolutionären Inszenierungen und seinerzeit radikalen Ideen wurde er legendär und beeinflußte viele, die nach ihm ins Rampenlicht traten. Der Film ‚Man on the Moon’ setze ihm ein Denkmal.
Kaufman wurde gerade einmal 35 alt. Wenige Monate vor seinem Tod war ihm eine seltene Form von Lungenkrebs diagnostiziert worden. Er beschloß, um sein Leben zu kämpfen. Erfolglos. Als sich die Nachricht von seinem Tod verbreitet, hielten viele Menschen das für eine Inzenierung. Einen weiteren makaberen Scherz, den Kaufman seinem Publikum zumuten wollte. Aber der Vorhang senkte sich.
Woher kommt eigentlich ‚Totgesagte leben länger‘?
Bleib gesund.
Dein A.
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Briefe vom Anfang über das Ende
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Ein fiktionalisierter Briefwechsel über den Tod und das Sterben von Andreas Kaufmann und Sabrina Zwach