Liebe S.,

Kinder sind schlaue Leute. Kleine schlaue Menschen. Sie sind neugierig auf fast alles, was sich ihnen bietet. Sie haben ein gutes Gespür und sehr feine Antennen. Sie sagen, was sie zu sagen haben, frei heraus. Und sie hören besser zu, als man denkt. Du kannst viel von ihnen lernen. Wenn Du sie nur ernst nimmst.

Und Kinder verstehen Friedhof.

Weißt Du, wie oft ich schon mit meinen Töchtern auf dem Friedhof war ? Ich kann es Dir nicht sagen. Unzählige Male. Der Gang dorthin ist uns so etwas wie ein Ritual geworden. Jedenfalls ganz unser Ding.

Zu Beginn war ich naturgemäß nur mit meiner Großen unterwegs. Gleich mit dem Kinderwagen, dann mit kleinen Schritten, die immer größer und sicherer wurden. Nunmehr sind wir meist zu dritt. Die Kleinste komplettiert unser Trio.

Wir besuchen die Oma im Himmel. Ihr Grab ist stets unser Ziel. Wir stehen davor und sprechen mit Ihr. Wir gießen das Grünzeug. Wir setzen uns auf die Grabkante und unterhalten uns.

Danach ziehen wir ganz nach Laune über den Friedhof. Wir spazieren herum. Manchmal rennen wir auch, weil die Wege herrlich auf und ab führen. Fast ein bisschen wie Achterbahn zu Fuß. Ab und an nimmt uns einer im Golfcart mit, wenn gerade keine alten Leute, für die der Fahrservice angeboten wird, am Friedhofstor stehen.

Das Schulkind rechnet gerne aus, wie alt die Menschen geworden sind. Ihre kleine Schwester begeistert sich eher für auffällige Grabsteine, mit Skulpturen oder Portraitbildern.

Ich zeige den Mädchen die schönsten Plätze zum Verweilen. Ganz oben unter den Plantanen. Und unten bei den Kastanienbäumen. Die laden im Herbst zum großen Sammeln ein.

Wir treffen unseren liebsten Totengräber, der sich, wenn nicht beerdigt wird, um den Friedhof kümmert, und reden mit ihm über Gott und die Welt.

Dann besuchen wir andere Gräber und ich erzähle den Kindern über die Menschen, die hier Ihre letzte Ruhe gefunden haben. Wenn es die Grablinge hergeben, sogar in den schillerndsten Farben.

Einmal haben wir Engel gezählt. Engel in allen Größen und Kitschgraden. Wir hatte einen vierstelligen Handzähler dabei und jeder Engel war einen Klick wert. Bei etwa 999 haben wir die Aktion erschöpft abgebrochen. Das war ein Spaß. Seitdem steht bei der Oma auch ein Engel auf dem Grab.

Der Bestatter, der gerade nach einer Trauerfeier an seinem Totenwagen zu tun hat, erklärt uns, wie seine Arbeit aussieht. Und wir inspizieren die Friedhofskapelle, kurz nachdem die Trauergemeinde ausgezogen ist.

‚Wie fühlt es sich an, wenn man tot ist ?‘ fragt mich die Kleine während sie balanciert, wo man nur balancieren kann, ob Grab oder Mauer. Die Kleine, die neulich nachdem sie ordentlich gestürzt war, ausrief ‚Ich bin doch nicht tot.‘

Über all das schreiben wir ein Buch. Für andere Kinder. Für andere Papas. Für andere Familien.
Ein netter Verleger, den wir kennen, hat freundlich mit uns über die geringen Erfolgsaussichten und Machbartkeitszwänge von Verlagen gesprochen. Aber da hatten wir auch nicht mehr im Kopf und in der Hand als ein paar Ideen und einige wenige wackelige Skizzen. Wir lassen uns doch nicht entmutigen und basteln weiter. Der Arbeitstitel lautet ‚Die Oma im Himmel’. Wir werden schon sehen.
Ich glaube, ich habe es hinbekommen, den Friedhof für meine Kinder zu einem guten Ort werden lassen. Und ich kann nicht verhelen, dass ich mir das hoch anrechne. Hoffentlich können sie ihn Ihrem Leben was damit anfangen.