BRIEF #27
Lieber A, Deine S
Lieber A.,
gerade lese ich ein Buch, das mir die Angst vor dem Streben nehmen wird. Ich bin gespannt.
Verschiedene Gedankenspiele, philosophische Positionen und nicht zuletzt Seminare werden mir darin empfohlen.
Das Seminar "HAPPY DYING", das unter anderem in Korea angeboten wird, habe ich mir genauer angesehen.
Vor meinem inneren Auge ist eine Zeremonie entstanden, die etwa so aussieht:
Wie bei einer Trauerprozession steigen einige Frauen und Männer in den Keller eines buddhistischen Tempels. Alle sind in ein gelbes Jute-Gewand gehüllt. Vor sich tragen sie eine Kerze und ein mit Trauerrand verziertes Foto von sich selbst. „Nehmen Sie jetzt Abschied von sich“, sagt eine Stimme. Die Szene spielt sich in einem nur mit Kerzenschein beleuchteten Raum ab, in dem einfachste Holz-Särge stehen. Dann legen sich alle in einen der Särge, die Hände werden verbunden und der Deckel geschlossen. Zwei Schläge auf den Deckel gehören zur Inszenierung. Man soll denken, der Sarg würde zugenagelt. Etwa 15 Minuten verbringt man dann im Sarg - Zeit, um über das Leben nachzudenken. Dann ist die inszenierte Bestattung zu Ende. Im Rahmen des Seminars „Happy dying“ soll zur Meditation über die Beziehung von Tod und Leben angeregt werden. Glückliches Sterben also. Umgerechnet 36 Euro kostet der Spaß, der 4 Stunden dauert.
Ich habe mich gefragt, ob ich das Seminar belegen sollte? Ich bin zum Schluss gekommen, dass ich dafür nicht nach Asien fliegen werde.
Für das asiatische Essen würde ich sofort losfliegen. Dann ist mir eingefallen, dass ich meist nach 1 Stunde bei Flugreisen, die ich dann schon in der Luft verbracht habe, eine Panikattacke bekomme, weil ich mir dann vorstelle, dass ich mit Wildfremden in einem Stahlmonster in 10 Kilometer Höhe festsitze und durch die Luft schieße. Ich habe schon einige Male das Bordpersonal zu technischen Details befragt, meist nach der Attacke. Eine A380 - habe ich dabei gelernt - vollbeladen und betankt muss ihr Startgewicht von bis zu 575 Tonnen in die Luft bekommen. 575 Tonnen entspricht über 380 Mittelklasse PKWs. Ist es nicht vollkommen klar, dass ich da mit klarem Verstand in die Panik gerate? Ein Alptraum ist es dann jedes Mal, mich wieder zu beruhigen. A propos Alptraum: Jeder meiner Alpträume ist ein Traum, der mit meinen Todesängsten zu tun hat. Geht es Dir genauso?
Ich renne vor einem Mörder um mein Leben, ich falle aus großer Höhe, ich werde überfahren oder eingesperrt in einem dunklen Raum.
Ich nehme mir vor, meine Träume aufzuschreiben, vergesse es aber immer wieder. Den nächsten Traum schreibe ich Dir auf. Versprochen.
Sei umarmt. Pass auf Dich auf!
Deine S.
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