BRIEF #23A
Lieber A, Deine S – QUEEN EDITION
Lieber A.,
die Queen ist tot. Ich bin traurig. Ja, ich weiß, dass unter ihrer Regentschaft Unrecht passierte, der Kolonialismus kein Ende fand und auch dass die Queen letztendlich unanständig viel Geld bezahlte, das sinnvoller ausgegeben hätte werden sollen, um die Besuche ihres Sohnes Andrew in der Spaß-Villa von Herrn Eppstein zu vertuschen. Und dennoch bin ich traurig, weil eine Konstante wegbricht. Eine weibliche Konstante. Sie regierte bereits als ich geboren wurde. Ich habe sie nicht persönlich kennengelernt und doch eine Verbindung zu ihr. Ihr Leben fand in der Öffentlichkeit statt. Die Brosche. Ich kenne die Brosche – sie trägt sie immer rechts oben. Mein rechts, ihr links. Ich bin traurig, dass die Queen tot ist, auch wenn diese Traurigkeit weiter weg ist. Traurigkeit und Trauer hängen zusammen, sind aber ganz verschiedene Dinge. Wieviel Trauer haben wir eigentlich in uns? Wenn ein Mensch stirbt, dann trauern wir und manchmal endet die Trauer, manchmal aber nicht. Die Trauer verändert sich dann beispielsweise in ein Vermissen. Manche Menschen sterben und wir hören einfach nicht auf, sie zu vermissen. Manchmal sind wir traurig, wenn ein Mensch stirbt und dann akzeptieren wir nach einer bestimmten Zeit, dass das eben der Lauf der Dinge ist und dann ist gut. Ich stelle mir Trauer in mir, in meiner Seele vor, farbig markiert stelle ich mir unterschiedliche Trauerfäden vor, die unterschiedlich dick sind und unterschiedlich lang und sich in meiner Seele verwurschteln. Manche spinnen sich schon sehr lange fort, andere sind erst kürzlich entstanden, manche sind kurz und dick, manche lang und schillernd und dünn. Die Trauer ist nicht an den Tod gebunden. Trauer ist seelischer Schmerz über einen Verlust oder ein Unglück. Verlust und Unglück gibt es natürlich überall und immer im Leben und ich könnte unzählige Verluste und Unglücke aufzählen, jeder Mensch kann das bestimmt. Also ist dieser seelische Schmerz, die Trauer, auch in jedem. Zeit heilt eben nicht alle Wunden. Zeit lehrt uns doch mit den Wunden zu leben, oder? Ich bin traurig, dass die Queen tot ist und bin beeindruckt, wie die Abfolge der Generationen, die Staffelstabübergabe von sterben und erben, die den Ausruf: „Die Queen ist tot, es lebe der König“ mit sich bringt, exemplarisch in der Monarchie vorgeführt wird. Natur. Emotionslos. Logisch.
Ich schicke dir viele Grüße
S.
QUEEN EDITION B:
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