Liebe S.,

ICH WILL STERBEN.

Das ist der alles entscheidende Satz. Worte bar jeder Hoffnung. Nur drei Worte. Drei Worte sagen alles.

Nicht: Es geht wohl zu Ende. Nicht: Ich bin lebensmüde. Nicht: Mir bleibt keine Kraft mehr.
Auch nicht: Am liebsten wäre ich nicht mehr hier.

Vor einigen Wochen durfte ich einen Mann besuchen, der sehr krank war. Ich konnte ihm zwei Stunden Gesellschaft leisten. Es war unsere ersten Begegnung. Und unsere letzte. Er war sehr schwach, aber wir konnten uns unterhalten. Und dann sagte er, dass er streben will. Die Schmerzen, die schreckliche Hilflosigkeit, der Verfall des eigenen Körpers, das Wissen, dass es nicht wieder gut werden kann. All das hat ihn sagen lassen : ICH WILL STERBEN.

In der darauffolgenden Woche konnte ich nicht mehr zu ihm, weil sich sein Zustand rapide verschlechtert hatte. Er wurde in die Klinik eingeliefert. Dort hatte er nur noch ein paar Tage zu leben.

Seine Worte sind mir geblieben. Die Wucht, die sie haben, auch wenn sie mit schwacher Stimme gesprochen werden. Diese Worte sind final. So geschieht es.

Mein Vater dagegen geht inzwischen schnurstracks auf seinen 95. Geburtstag zu. Für sein Alter geht es es Ihm wirklich ordentlich. Hin und wieder sagt er: Ich bin so alt, ich mag nicht mehr arg. Aber das heißt auch, dass er irgendwie doch schon noch ein bisschen mag. So steht er jeden Morgen auf und stellt sich dem Tag. Eigentlich die Sonnenseite.

Und ich ?

ICH WILL NOCH LANGE NICHT STERBEN.

Dein A.

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BRIEF #21