Lieber A.,

hab Dank für Deinen Brief.
Du schreibst vom Krieg und natürlich ist dieser alles bestimmend.
Ist die Einheit, in der gerechnet wird doch die der Toten. So wie in der Pandemie die Zahl der Toten tägliche Referenz wurde. 
Und so erschütternd in beiden Fällen die Zahlen sind, sind es doch Zahlen. Merkwürdig abstrakt. Tägliche Vergegenwärtigung, wie es sein muss, ein Kind, ein Elternteil oder Partner zu verlieren, das bzw. der sich ein Virus eingefangen hat und alleine – vollkommen ohne Besuch und ständigem Beistand – in einem Krankenhaus stirbt. 
Und dann die Frage, wie es wohl ist, am Morgen das Haus zu verlassen und nicht zu wissen, ob man sich abends wieder sehen wird, weil draußen, auf der Strasse, in der Stadt Krieg herrscht. Und wie es ist, plötzlich an den Anblick von Sterbenden und Toten gewöhnt zu sein, weil er allgegenwärtig ist? 
Und dann die Fragen: Darf ich noch ein Essen genießen? Einen Rausch haben? Darf ich noch fröhlich sein, mich mit Freunden treffen? 
Wie kann das Leben für die, die nicht unmittelbar betroffen sind, angemessen weiter gehen? Was heißt unmittelbar betroffen überhaupt?
Was macht die tägliche Auseinandersetzung mit der Endlichkeit?
An und für sich wird in den Hinterzimmern gestorben, wird nicht über das Sterben gesprochen. Gestorben wird irgendwo, im Stillen, im Dunkeln. 
Die Gesellschaft will davon nichts hören, nichts sehen.
Und im Hinterzimmer meines Hirns, hoffe ich natürlich auch, dass ich vielleicht mit dem Leben davon komme. 
Und nun Krieg und Pandemie. Gestorben wird durch alle Schichten, Klassen und in allen Ländern. Es ist verbindend, unglaublich verbindend.
Wir werden alle sterben.

Der Tod gehört zum Leben

Und doch: Es macht nichts mit den Menschen. Sie rücken nicht näher zusammen und halten sich gegenseitig die Hände. Sie sagen nicht: „Du bist nicht allein, hab keine Angst“!
Das würde ich mir wünschen. 
Und so schreibe ich Dir, mein Liebster A.:
Du bist nicht allein, hab keine Angst.
Bis ganz bald

Deine S.

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