BRIEF #117
Liebe S., Dein A.

Liebe S.,
heute habe ich einen Brief aus dem Postkasten gezogen. Einen richtigen Brief, so einen mit einer Briefmarke drauf. Keine Rechnung. Keine Werbung. Ein Brief. Meine Patentante hat ihn mir geschickt.
Im Umschlag fand ich ein fünfseitiges Schreiben, das ich dereinst selbst verfasst habe. Ein „Geburtstagsbrief zum 18.4.82“, den sie mir nun retour gesendet hat.
Im April 1982 war ich gerade 14 Jahre jung. Nur wenige Monate später, im Dezember, sollten wir beiden uns über den Weg laufen. Der Rest ist ein Stück Lebensgeschichte.
„Du wirst jetzt glaub ich 38 (oder 39?) und ich find das eigentlich schon ganz schön alt“ brachte ich damals zu Papier. „Und obwohl man an so einem Tag fröhlich ist, ist die Sache doch (für mich jedenfalls, zur Zeit zwar noch nicht, aber dazu später) traurig, irgendwie. Es ist wieder eine Jahr rum im Leben, wieder ein Jahr weniger. Irgendwie hab ich Grausen wenn ich daran denke, daß man irgendwann mal sterben muß. Bisher habe ich immer die Möglichkeit ausgeschlossen, daß es nach dem Leben noch etwas gibt, weil ich es mir nicht vorstellen konnte. Erst vor wenigen Tagen habe ich mir überlegt, wie es aussehen könnte nach dem Leben, und jetzt bin mir nicht sicher was ich meinen soll, wenn mich jemand deswegen ansprechen würde. Echt, manchmal frage ich mich was der Opa, Tante Hann und Tante Liesel machen und wie es ihnen geht. Aber das gehört ja eigentlich gar nicht in einen Brief zu einem Geburtstag, oder doch ? Ich hoffe, dass es dich nicht zu sehr gelangweilt hat, oder so.“
Beim Lesen war ich einigermaßen berührt welche Gedanken mich als Jugendlichen beschäftigt haben und dass ich die Courage hatte, meiner Patentante, die eigentlich auch meine ungleich ältere Cousine ist, davon zu schreiben. Schon damals war der Tod ein Thema. Und der Brief ein Medium.
Offensichtlich habe ich meinen Zeilen seinerzeit noch eine selbsterstellte Musikkassette als Geschenk beigelegt, weil ich im Auto der Patentante nur Beethoven und Grimms Märchen entdeckt hatte. Ihre Töchter, Zwillinge, waren damals so alt wie meine Kleinste heute.
Auf einer beigelegten Karte schrieb sie mir nun wie ausführlich und freundlich zugewandt ich Ihr damals geschrieben hätte. „Ein echtes Zeitzeugnis. Auch für Deine Töchter. Hoffentlich können wir uns bald mal drüber austauschen.“
Das will ich wirklich in die Tat umsetzen. Die Zeit geht rasch dahin.
Dein A.
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Ein fiktionalisierter Briefwechsel über den Tod und das Sterben von Andreas Kaufmann und Sabrina Zwach