BRIEF #102
Lieber A., Deine S.
Lieber A.,
der Herbst kommt. Ich liebe das Licht der Spätsommersonne und die nun langsam kälter werdenden Nächte.
Mit dem Herbst, mit dem Verfärben der Blätter, setzt eine Traurigkeit ein, die ich von Kind an kenne.
Mit dem Abschied vom Sommer, legt sich eine Traurigkeit über alles.
Vielleicht gerade, weil die Natur so bunt und satt ist, weil Erntezeit ist, weil das Licht so wunderbar ist, ist die Verzweiflung über die Endlichkeit am Größten.
In der Kunst spricht man vom "horror vacui", der Angst vor leeren Stellen, vor dem Nichts. Ich frage mich dann an Tagen, an denen mein Herz besonders schwer ist, ob es das ist? Die Angst vor dem Nichts? Oder ob es die Suche nach dem Sinn ist, in einem Universum, das in sich überhaupt gar keinen Sinn hat? Ob es die Verzweiflung über die Fahrlässigkeit und Unvernunft der Menschheit ist?
An manchen Tagen stelle ich dann fest, dass es die Liebe zum Leben ist, die mir zu schaffen macht. Das Herz läuft dann über. Das Leben kann so schön sein! Und an den schönsten Tagen, in den schönsten Momenten, setzt diese panische Angst davor ein, dass wir alle gehen. So einfach ist es.
In diesem Zustand schreibe ich Dir gerade. Hin- und hergerissen, zwischen einer demütigen Verneigung vor der Schönheit, die ich erleben darf und der panischen Angst, mit dem Nichts, das auf uns alle zukommt, umgehen zu müssen.
Schau. Wie schön das Licht heute ist!
Pass auf dich auf!
Deine S.
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