BRIEF #06
Lieber A, deine S
Lieber A.,
ich schreibe Dir aus Wien.
Es kommt mir so vor, als würde in Österreich selbstverständlicher gestorben. Der schwarze Humor, der den Österreichern zu Recht nachgesagt wird, ist ein Zeichen dafür? Ist Humor generell an die Angst vor dem Tod geknüpft? In Anbetracht der Tatsache, dass wir alle sterben, können wir über die endliche Existenz lachen oder wir müssen lachen, damit wir nicht verzweifeln? Was denkst du? Gibt es kulturelle Unterschiede im Sterben, im Loslassen? Hast du darüber gelesen?
Ich habe Dir 4 Fotos beigelegt, die ich auf dem Zentralfriedhof gemacht habe.
Udo Jürgenss Grab ist besonders hässlich, ich wollte es Dir nicht vorenthalten:
Die Skulptur aus sechs Tonnen italienischem Marmor, wurde von Jürgens' Bruder Manfred Bockelmann entworfen. Der österreichische Bildhauer Hans Muhr hat die Pläne umgesetzt. Der Marmorblock stellt einen weißen Flügel dar, der von einem Tuch bedeckt wird. Udo Jürgens wollte nicht unter der Erde bestattet werden. Das heißt also, seine Urne ist in dem Marmormonster eingelassen, wenn ich es richtig verstanden habe. Joe Zawinul, Hedy Lamar und Ernst Jandl sind die anderen drei, deren Grabstätte ich fotografiert habe. Es ist ganz herrlich, dort in Wien auf dem riesigen Friedhof herum zu spazieren.
In Wien habe ich außerdem meinen alten Freund T. getroffen. Er ist ein außergewönlicher Schauspieler, hat am Reinhardt-Seminar studiert, ist fein und hat einen ungeheuer intelligenten Witz auf der Bühne und ist gleichzeitig scharf, bissig und präzise. Jedenfalls wollte er überhaupt nicht über das Theater im Allgemeinen oder Speziellen mit mir sprechen, er wollte mir von seiner Berufung erzählen. T. hat vor der Pandemie seine Ausbildung zum Sterbebegleiter abgeschlossen. Er hat von Erfüllung gesprochen, von einem tief empfundenen Glück, das er bei der Begleitung von Menschen auf ihrem letzten Weg, erlebt. Ich war tief beeindruckt. Ich könnte das nicht, habe ich gesagt. Nachgedacht habe ich lange, warum ich so große Angst vor dem Sterben, vor Sterbenden habe? Wie kann ich mich rantasten? Wie hast du es geschafft?
Ich denke an Dich.
Deine S.
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Ein fiktionalisierter Briefwechsel über den Tod und das Sterben von Andreas Kaufmann und Sabrina Zwach