BRIEF #90
Lieber A., Deine S.
Lieber A.,
gerade komme ich aus Österreich, dort habe ich dir diese Zeilen geschrieben, aber da ich dort gearbeitet habe und die Tage anstrengend und voll waren, habe ich ganz vergessen, den Brief in den Briefkasten zu stecken.
Ich habe tatsächlich viel über Arbeit nachgedacht, über das Verhältnis von Arbeit im Leben und welches Mass an Wichtigkeit, Zeit und Selbstwert ich angemessen finde, der Arbeit zuzuschreiben.
Auf meinem Grabstein, dachte ich dann, sollte nicht stehen: „Sie war immer fleißig“ oder „Sie hat immer alles tipptopp erledigt“. Aber was würde mir gefallen?
Jedenfalls bin ich mit diesen Gedanken in einer Pause in Österreich in den Wald gegangen, um einmal kurz durchzuatmen und auf meiner kleinen Wanderung an die Holztafel gekommen, die ich gleich für dich fotografiert habe – das Foto liegt dem Brief bei!
Ein Waldarbeiter wurde von einem Baum erschlagen. Das Credo, das ihm die Arbeit betreffen zugeschrieben wird, ist fein säuberlich auf der Holztafel aufgepinselt:
Die Arbeit war dein Leben,
du dachtest nie an dich.
Nur für die Deinen streben, war deine höchste Pflicht.
Die Holztafel hat mich berührt, die Darstellung vom Erschlagenen, die Beschreibung seines Arbeitsethos, die Schwere der Arbeit und schließlich das Todbringende in der Verrichtung.
Ich möchte mich nicht totarbeiten.
Und doch, die Arbeit nimmt viel Lebenszeit. Wie findest du Balance?
Was denkst du?
Magst du mir schreiben?
Pass auf dich auf!
Deine
S.
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