BRIEF #64
Lieber A., Diene S.
Lieber A.,
Adventszeit. Ich liebe die Adventszeit. Ich hasse Weihnachtsmärkte. Ich hasse Lebkuchen und Spekulatius-Schwemmen aus dem Supermarkt. Ich liebe Gebasteltes und Selbstgebackenes, Menschen, die sich zurückziehen, ihre Wohnungen dekorieren, die Fenster schmücken.
Ich werde zum Kind und zähle die Tage bis Weihnachten. Dinge der Arbeitswelt müssen fertig gemacht werden, abgearbeitet. Das Kalenderjahr endet. Rechnungen werden geschrieben, Schreibtische aufgeräumt, es wird bilanziert.
Dann werden Geschenke besorgt, Wunschzettel geschrieben, geschriebene Wunschzettel werden abgearbeitet.
Ich liebe Geschenke, ich liebe es zu schenken. Einkaufen hasse ich dagegen. Ich bin nicht gut darin. Aber gut, an Weihnachten muss es sein.
Am Liebsten allein. Ich fange aber auch schon im September an. Verstecke in der Wohnung mit Ende der Sommermonate erste Geschenke.
Weihnachten ist ritualisiert. Es wird immer dasselbe gegessen, mehr oder weniger. Der Baum wird von denselben gekauft und geschmückt.
Der Vorabend ist immer gleich. Der Weihnachtstag ist immer gleich. Die Weihnachtsfeiertage sind immer gleich. Und die Glocken klingen irgendwo in der Ferne besonders schön. Und irgendwann wird alles ganz still. Alle freuen sich auf diese ablaufende Spiel.
Und gespielt wird an Weihnachten. Gesellschaftsspiele werden in wechselnden Gruppen zu unterschiedlichen Tageszeiten gespielt.
Nach dem Frühstück im Schlafanzug zum Beispiel. Und dann ist plötzlich alles vorbei. Und dann wird alles wieder eingepackt und verstaut, manches sogar umgetauscht. Der Baum nadelt und muss raus. Der Kühlschrank ist voller Reste, irrsinnig viele kleine Schüsseln mit Rotkohl und Desert, Saucen und Beilagen drängeln im Kühlschrank gegessen zu werden. Dann sind alle weg - die Gäste und die Reste, die Kinder und die Eltern.
Und dann bin ich an jedem Jahr für ein paar Tage sehr traurig, weil es vorbei ist und obwohl es ritaulisiert immergleich ist, ist es einzigartig und jedes Weihnachtsfest ist unwiederbringlich vorbei und weg und gehört der Vergangenheit an, kaum dass es stattgefunden hat. So ist es mit allem. Und deshalb will ich jede Sekunde, jeden Moment geniessen, von allem, das schön ist.
Und jetzt kommts, lieber A., weißt du eigentlich, wie viele Leute Weihnachten ganz blöd, ja unerträglich blöd finden?
Wie geht es Dir damit?
Bitte schreib mir
Deine S.
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